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Freispruch eines psychiatrischen Gutachters vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs einer Staatsanwältin unter Ausnutzung eines Beratungs- und Behandlungsverhältnisses

Der BGH hat entschieden, dass es für die Beurteilung der Frage, ob ein „Missbrauch“ i.S.d. § 174c Abs. 1 StGB vorliegt, auf die Art und Intensität des Behandlungsverhältnisses ankommt.

Das LG München II hat den Angeklagten wegen „sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs- oder Behandlungsverhältnisses in zwei Fällen“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Urteils und zum Freispruch.

Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde der Angeklagte als Psychiater vom Landgericht häufiger mit der Erstellung von Gutachten in Strafverfahren beauftragt. Dabei lernte er auch die Nebenklägerin kennen, damals Richterin am Landgericht, die mit einem guten Freund des Angeklagten – einem verheirateten Kollegen – ein Verhältnis begonnen hatte. Der Angeklagte entwickelte ein gesteigertes Interesse an der Nebenklägerin. Bei einem gemeinsamen Abendessen offenbarte die Nebenklägerin dem Angeklagten eine seit mehreren Jahren bestehende Alkoholabhängigkeit.
Etwa zwei Jahre später wurde die Nebenklägerin, die nunmehr als Staatsanwältin tätig war, nach einem zweiwöchigen Klinikaufenthalt zwecks Behandlung der genannten Abhängigkeit und weiterer Krankheitsbilder von ihrem Vorgesetzten mit einem erheblichen Nachlassen ihrer Arbeitsleistung konfrontiert. Aufgrund dieser Drucksituation erstrebte sie die Einnahme von angstlösenden Benzodiazepinen. Während des Klinikaufenthalts war es vor dem Hintergrund einer früher bestehenden Benzodiazepin-Abhängigkeit zu einer langsamen Reduzierung und schließlich einer Absetzung zuvor verabreichter Benzodiazepine gekommen. Die Nebenklägerin ging davon aus, ihr behandelnder Arzt werde ihr diese Medikamente nicht mehr verschreiben. In dieser Situation kam sie auf den Gedanken, sich an den Angeklagten zu wenden und sein Interesse an ihr auszunutzen, um ihn durch Aufnahme einer sexuellen Beziehung zur Verschreibung von Benzodiazepinen zu bewegen. Zugleich wollte sie damit ihren früheren Kollegen, mit dem sie ein Verhältnis gehabt hatte, ärgern.
Diesen Plan setzte sie in der Folgezeit um und erreichte, dass der Angeklagte ihr mehrfach die begehrten Medikamente verschrieb oder Blankorezepte überließ. Der Angeklagte besorgte sich in diesem Zusammenhang frühere Arztberichte und beriet die Nebenklägerin über eine Änderung der Medikation. Weitergehende Avancen des Angeklagten, der mit der Nebenklägerin eine Lebenspartnerschaft beginnen und ein gemeinsames Kind haben wollte, wies sie zurück. Im Rahmen dieses mehrere Monate dauernden Verhältnisses kam es mehrfach zu einvernehmlichen sexuellen Handlungen des Angeklagten mit der Nebenklägerin.

Der BGH hat, anders als das Landgericht, das Verhalten des Angeklagten als nicht strafbar angesehen und ihn deshalb auf der Grundlage der umfassenden rechtsfehlerfreien Feststellungen freigesprochen.

Nach Auffassung des BGH macht sich ein Täter dann wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses (§ 174c Abs. 1 StGB) strafbar, wenn er sexuelle Handlungen an einer Person vornimmt, die ihm wegen einer geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung einschließlich einer Suchtkrankheit oder wegen einer körperlichen Behinderung zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut ist. Dabei müsse er zudem unter Missbrauch dieses Verhältnisses handeln. Zweck dieser Strafvorschrift sei der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung in Situationen, die typischer Weise besonders missbrauchsanfällig sind.

Vorliegend handele es sich um einen atypischen Fall, der davon gekennzeichnet sei, dass sich die Nebenklägerin bereits außerhalb eines Beratungs- und Behandlungsverhältnisses dazu entschlossen habe, den Angeklagten für ihre Ziele zu instrumentalisieren. Diese Entscheidung sei auch nicht mit wesentlichen Willensmängeln behaftet gewesen. Weil die Nebenklägerin dem Angeklagten aufgrund ihrer beruflichen Stellung und Persönlichkeit zudem auf „Augenhöhe“ begegnet sei, habe sich das Handeln der Nebenklägerin nach Auffassung des BGH im Ergebnis als Ausdruck ihrer sexuellen Selbstbestimmung und nicht als deren Missbrauch durch den Angeklagten dargestellt.

In diesem Zusammenhang hat der BGH klargestellt, dass dem gesetzlichen Merkmal „Missbrauch“ eine eigenständige Bedeutung für die Beurteilung der Strafbarkeit solcher Fälle zukomme. Für die Beurteilung der Frage, ob ein Missbrauch in diesem Sinne vorliege, sei die Art und Intensität des Behandlungsverhältnisses entscheidend.

Vorinstanz
LG München II, Urt. v. 15.07.2015 – 1 KLs 31 Js 4982/13
Quelle: Pressemitteilung des BGH Nr. 126/2016 v. 19.07.2016

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